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Was Gaming-Unternehmen so mir euren Daten anstellen

Stellen wir uns vor, „GTA 7“, der übernächste Teil der ­erfolgreichen Videospielreihe „Grand Theft Auto“ sei bereits erschienen. In der riesigen, offenen Spielwelt fahren wir mit dem Sportwagen unseres Lieblingsherstellers durch die Straßen einer Großstadt. Wir halten vor dem Laden einer bekannten Modemarke an, steigen aus, betreten das Geschäft und befinden uns plötzlich in einer tatsächlichen, virtuellen Filiale wieder. Unser Avatar probiert die Shirts, Hosen und Mützen an und wenn uns etwas gefällt, kaufen wir es – allerdings nicht nur mit fiktiven Dollars, sondern auf Wunsch auch mit echtem Geld, das von unserer Kreditkarte abgebucht wird. Während unser Avatar die neuen Klamotten gleich anziehen und damit in den Sonnenuntergang düsen darf, werden sie uns einige Tage später nach Hause geliefert.

Diese Vermischung aus Spiel und Realität bildet nicht nur die Grundlage vom sogenannten Metaverse, dem sich zahl­reiche ­Techfirmen wie der Facebook-Konzern Meta verschrieben haben. Spieleentwickler, Werbetreibende und Brands wittern ­gleichermaßen und schon seit längerer Zeit das große Poten­zial, das sich für Werbung und Marketing in Videospielen verbirgt. „Wir erleben derzeit einen großen Wandel“, sagt Gavin Cheng, CEO des Agenturnetzwerks DBB FTW, das auf die Vermarktung von Videospielen und E-Sports spezialisiert ist. „Firmen und Brands müssen dort aktiv sein, wo die Menschen sind, und vor ­allem jüngere Menschen bewegen sich zunehmend in immer­siven und virtuellen Welten.“

Die Zahlen bestätigen das. Das Marktforschungsinstitut ­Newzoo prognostiziert, dass im Jahr 2021 rund drei Milliarden Menschen weltweit in irgendeiner Form Videospiele gespielt haben, der Umsatz der Branche im aktuellen Jahr wird auf 203 Milliarden US-Dollar geschätzt. Für die Werbebranche sind dabei vor allem die Online-Games interessant. Sie werden immer beliebter, begeistern Spielerinnen und Spieler über einen langen Zeitraum und liefern dabei kontinuierlich eine Menge wertvoller Daten, die sich vermarkten lassen.

Dass Videospiele generell ein guter Werbeträger sind, hat die Branche früh erkannt. Schon 1978 enthielt „Adventureland“ eine Werbe­tafel für das kommende Spiel der Entwickler. 1984 bezahlten im Sportspiel „Micro Olympics“ erstmals Firmen dafür, dass ihr Name auf der Bande im Hintergrund angezeigt wurde. Es war eines der ersten Beispiele für gezielte Produktplatzierung in ­Games, die ab den 1990er-Jahren richtig Fahrt aufnahm. Schon in „FIFA International ­Soccer“ aus dem Jahr 1993, dem ersten Teil der bis heute erfolgreichen Fußballsimulation, hat unter anderem Adidas Werbung geschaltet. Heute tauchen echte Produkte in den verschiedensten Games auf, von Rennspielen über Egoshooter hin zu Open-World-Abenteuern.

Mit dem Aufstieg von Onlinespielen ab der Jahrtausend­wende veränderte sich die In-Game-Werbung von statischen Produktplatzierungen, die bereits bei der Entwicklung im Spiel festgelegt wurden, hin zu dynamischen Werbeflächen. Die Entwickler von Online-­Games konnten diese vermarkten und somit eine neue, dauerhafte Einnahme­quelle erschließen. Die Werbepartner wiederum konnten dank der Internetverbindung die virtuellen Billboards im Spiel jederzeit verändern und somit jeder Spielerin und jedem Spieler eine andere Werbung anzeigen oder die Kampagnen nach Ablauf austauschen.

Ab spätestens 2010 sorgte schließlich der Trend zu Free-to-Play-Titeln und mobilen Blockbustern wie „Candy Crush“ einerseits dazu, dass Werbeunterbrechungen in Games zwar nicht gefeiert, aber zumindest von den Spielenden akzeptiert wurden. Andererseits entstanden mit dem Auftreten von In-Game-Käufen, Mikrotransaktionen, Downloadable Content (DLC) und Season Passes neue Möglichkeiten für Kooperationen mit Werbepartnern, für Branding und für Cross-Promotion, man denke etwa an die Kostüme der ­Comichelden aus dem Marvel-Universum, die es inzwischen im Onlinespiel „­Fortnite“ zu kaufen gibt.

Der Anfang war pixelig: In „Micro Olympics“ stand 1984 erstmals bezahlte Werbung an der Bande. (Abbildung: Database Software)




Online-Games erheben eine Menge Daten

Gute, und das bedeutet effektive Werbung, basiert auf guten ­Daten: Wer ist die Zielgruppe und wo, wann und wie lässt sie sich am besten erreichen? Welche Trends sind angesagt und welche Werbe­formen versprechen am meisten Erfolg? Viele ­Videospiele, allen voran Online-­Games, sammeln und verarbeiten längst Daten, die diese Fragen zumindest teilweise beantworten könnten. Unter dem Aspekt von Telemetrie und Analyse sammeln sie Informationen, die sehr viel darüber verraten, wie individuelle Spielerinnen und Spieler ticken. „Die AAA-Spieleentwicklung stützt sich stark auf Data-Mining-­Verfahren“, heißt es dazu in einer Studie der Universität Amsterdam aus dem vergangenen Jahr. „Jede Interaktion, vom Kaufverhalten im Spiel und den Anpassungen der Einstellungen bis hin zur physischen Bewegung und der Kommunikation mit anderen Spielern, wird gesammelt.“

Die massiven Online-Games von heute sind oft gigantische Spielplätze, auf denen die Spieler etliche Möglichkeiten haben, mit der Umgebung und Mitspielern zu interagieren. In sogenannten Service-Games gibt es tägliche oder wöchentliche Updates. Neue Waffen, Kostüme oder Herausforderungen. Wie ein Spieler oder eine Spielerin diese Objekte annimmt, was sie damit anstellen, welches Kostüm beispielsweise am meisten getragen wird – all das sind ­Daten, die die Studios haben. Die sie brauchen, um weitere Updates zu erstellen.

Diese Daten werden, zumindest teilweise, bereits mit ­Dritten geteilt. Etwa mit der Werbebranche. So wird etwa der grobe Standort auf Basis der IP-Adresse der Spielenden schon länger für die erwähnte dynamische In-Game-Werbung verwendet. Das hilft dabei, Anzeigen zu schalten, die auch für die jeweilige Region relevant sind. Schließlich bringt es wenig, deutschen Spielenden Werbung für eine Limonade anzuzeigen, die es nur in den USA zu kaufen gibt. Noch weiter gedacht, könnten solche Lokalisierungsdaten dazu dienen, den Spielenden gezielt Coupons für Restaurants in ihrer Nähe anzubieten.

Die Rohdaten können aber noch weitaus mehr verraten. Eine ­Studie aus dem Jahr 2012 etwa untersuchte Daten von eingeweihten Spielern des Online-Rollenspiels „World of Warcraft“: Wie viele Monster hatten sie getötet, wie oft starben sie, wie viele Fische hatten sie im Verlauf des Spiels gefangen? Die Forschenden nutzten diese Daten, um in Verbindung mit einer Umfrage auf Persönlichkeitsmerkmale zu schließen. So fanden sie heraus, dass Spielerinnen und Spieler, die sich als gewissenhaft einstuften, vermehrt Zeit mit sich wiederholenden Aufgaben im Spiel verbrachten.

„Werbeanzeigen funktionieren besser, wenn sie in emotional geladenen Momenten erscheinen.“

Solche Informationen könnten Werbetreibenden helfen, personalisierte Anzeigen zu schalten; allein mit dem Wissen, welche Art von Skins und Gegenständen jemand innerhalb eines Spiels wie „­Fortnite“ oder „League of Legends“ erwirbt, ließen sich Hinweise auf dessen Interessen ablesen, Lieblingsfarben, die Einstellung gegenüber Tattoos, Schmuck oder Bärten. Die Auswahl der Radiostationen in „GTA ­Online“ könnte, nur als Beispiel, ver­raten, welche Musik die Spielenden gerne hören – und mit diesem Wissen könnten Werbepartner wiederum das neue Album einer passenden Künstlerin oder eines passenden Künstlers vermarkten. Je mehr Datenpunkte erhoben und zusammengeführt werden, desto präziser die Profilbildung. Nicht umsonst gibt es in der ­Onlinewelt von GTA inzwischen schon ein eigenes Plattenlabel, das Musik in der virtuellen Welt vertreibt.

Die Daten können aber nicht nur verwendet werden, um ­Inhalte zu personalisieren, sondern auch, um den genauen Zeitpunkt für eine Anzeige zu finden. Ad-Techunternehmen wie das israelische Anzu entwickeln etwa dynamische In-Game-­Werbung, die nicht nur in die Spielwelt integriert ist, sondern auch gezielt in gewissen Momenten während des Spiels aktiviert wird. „Werbeanzeigen funktionieren besser, wenn sie in emotional geladenen Momenten erscheinen“, sagt Gavin Cheng von DBB FTW. So könne das Spiel erkennen, wann eine Spielerin ein besonders kniffliges Level gemeistert hat und ihr in diesem Moment eine entsprechende Anzeige servieren. Solche Mechaniken nutzen schon jetzt viele Games aus. „Wenn Anzeigen an die kontextuelle Mechanik des Spiels angepasst sind, kann selbst die unter Gamern zumeist verpönte Bannerwerbung an Relevanz gewinnen“, sagt Cheng.

Heute (hat Gucci eine eigene Welt in „Roblox“, in der ­Spieler:innen digitale Kleidung kaufen können. (Abbildung: Roblox Corporation)




Vorsicht bei personalisierten Anzeigen

Obwohl die Rohdaten aus Games wohl für viele Werbetreibende ein gefundenes Fressen wären, warnt Cheng, auch im Hinblick auf die zunehmend kritischere Einstellung gegenüber Tracking-­Cookies, allerdings vor der uneingeschränkten und vor allem ungefragten Nutzung: „Personalisierte Anzeigen in Videospielen sind ein Minenfeld und wenn wir so etwas wie Cookies in Games einsetzen, wird das für eine Menge Ärger sorgen.“ Deshalb sei es wichtig, für Transparenz und Kontrolle zu sorgen. Die Spielenden sollten selbst auswählen können, welche Daten sie Dritten zur Verfügung stellen.

Vor allem aber sollte In-Game-Werbung „authentisch“ sein, sprich: Sie sollte an das jeweilige Spiel angepasst sein und sich möglichst nahtlos in das Spielerlebnis einfügen. Rennspiele sind traditionell ein offensichtliches Beispiel für nahtlose Produktplatzierung, indem sie einfach die tatsächlichen Modelle von Autoherstellern enthalten. Oder auf Billboards am Straßenrand werden Produkte beworben. Eine andere Möglichkeit ist es, einen NPC, einen computergesteuerten Charakter innerhalb des Spiels fast beiläufig über ein bestimmtes Produkt sprechen zu lassen. Wenn die Spielenden zugestimmt haben, kontextbasierte Werbung zu erhalten, könnte das Produkt sogar auf ihre mutmaß­lichen Vorlieben zugeschnitten sein.

Für Gavin Cheng ist vor allem „Fortnite“ eines der derzeit besten Beispiele, das zeigt, wie gutes, zugeschnittenes Branding aussehen kann. „Epic Games hat eine Menge guter Partner und integriert deren Inhalte sehr geschickt, etwa durch vorübergehende Veränderungen der Map, durch Challenges oder den Verkauf von Skins.“ Das funktioniere so gut, weil die Spielenden dabei nicht das Gefühl haben, Werbung zu sehen, sondern in erster Linie eine Möglichkeit, mit dem Kauf von kosmetischen ­In-Game-Gegenständen ihre Identität auszudrücken. Etwa, wenn sie sich Kleidung der Luxus-Modemarke ­Balenciaga kaufen, die im In-Game-Store käuflich zu erwerben ist und die die Spiel­figuren tragen können.

Das größte Potenzial sieht der Werbeexperte letztlich in jenen Welten, in denen Spiel und Realität, Avatar und Identität noch weiter verschmelzen, sprich dem Metaverse. Die Spielwelt von Roblox etwa, bestehend aus ihren Tausenden einzelnen Games, in denen Brands wie Gucci ihre virtuellen Güter platzieren können oder Künstler wie David Guetta und Charlie XCX als Avatar auftreten, zeigt schon jetzt, wo die Reise hingehen könnte.




Noch sind es die Entwickler, die bestimmen, welche Art

von Werbung in welcher Form integriert ist. Doch die Ad-Techbranche hat das Potenzial längst erkannt und lernt langsam, den Datenreichtum von Videospielen zu schätzen und für sich zu nutzen: ­Szenarien wie die eingangs erwähnte Integration von einem tatsächlichen E-Commerce-­Store in eine Spielwelt wie die von „GTA Online“ oder eben Roblox ist für Gavin Cheng deshalb nicht nur theoretisch möglich, sondern eine logische Konsequenz.

„In den metaversalen Räumen befindet sich die Werbung noch in einer Art Ursuppe“, sagt er. „Wir können dabei zusehen, wie sie organisch wächst. Und sie wird die gesamte Branche verändern.“

Fast fertig!

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