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Jurist erklärt, wo die Grenze ist

Obwohl Annemarie Dwars, die eigentlich anders heißt, zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung bei einer Digitalagentur schwanger war, hat sie es auf Nachfrage verheimlicht. „Mein Gesprächspartner fragte nach meiner Familienplanung und ich antwortete, dass ich nicht vorhätte, in den nächsten Jahren ein Kind zu bekommen“, so die gelernte Buchhalterin gegenüber t3n. „Das war zwar gelogen, aber hätte ich gesagt, dass ich ein Baby erwarte, wäre ich sicher nicht eingestellt worden.“ Ihr Glück: Die Frage allein war juristisch betrachtet schon unzulässig.

Die Rechtsprechung gibt Bewerberinnen und Bewerbern mit dem Recht zur Lüge bei derartigen Fragen die Möglichkeit, sich vor Ungleichbehandlung zu schützen. „Sind Sie schwanger?“ ist der Klassiker unter den unrechtmäßigen Fragen, weiß auch Guido Völkel, Associate bei Bird & Bird und Fachanwalt für Arbeitsrecht: „Die Kandidatin hat ein Recht zur Lüge, ohne dass sich hieraus später negative Konsequenzen auf ein zustande gekommenes Arbeitsverhältnis ergeben.“ Dwars’ Lüge war in dem Fall also okay.




Lügen im Job: Unzulässige Fragen sind Tabu

Auch die Frage nach einer Behinderung oder Krankheit fällt in die Kategorie der unzulässigen Fragen, auf die Bewerberinnen und Bewerber mit einer Lüge antworten dürfen. Religions-, Partei- und Gewerkschaftszugehörigkeit sind ebenso Privatsache. Über Vorstrafen und laufende Ermittlungen müssen Bewerbende ebenfalls keine Auskunft geben. Und doch gibt es auch hier Ausnahmen. Die können sich dann ergeben, wenn der Umstand die Ausübung der angestrebten Tätigkeit unmöglich macht, erklärt Völkel.

„Ein HIV-infizierter Kandidat könnte sich auf eine Position in Heilberufen wahrheitsgemäß äußern müssen – beispielsweise als angehender Krankenpfleger“, so der Jurist. Auch in Bezug auf die Vorstrafe gilt etwas anderes, wenn die Frage konkretisiert wird und ein enger Bezug zum angestrebten Arbeitsplatz besteht. „Ein angehender Kraftfahrer könnte sich beispielsweise zu Straßenverkehrsdelikten äußern müssen“, erklärt der Fachanwalt für Arbeitsrecht weiter. Lediglich die Frage nach der sexuellen Identität bleibt eindeutig privat.

Anders als bei unzulässigen Fragen des Arbeitgebers müssen Bewerberinnen und Bewerber auf zulässige jedoch ausnahmslos wahrheitsgemäß antworten. „Hierzu zählen beispielsweise Fragen nach dem bisherigen beruflichen Werdegang, zu Zeugnissen und Abschlüssen“, so Völkel. „Der Arbeitgeber kann bei falscher Beantwortung grundsätzlich das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung anfechten.“ Hierzu hätte er – nachdem die Täuschung entdeckt wurde – immerhin ein Jahr Zeit.

Eine Rückforderung des für die Vergangenheit geleisteten Gehalts ist laut dem Fachanwalt jedoch in der Regel ausgeschlossen. „Die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das Fundament eines erfolgreichen Arbeitsverhältnisses. Doch nicht immer können oder wollen Arbeitnehmende und Arbeitgebende bei der Wahrheit bleiben.“ Was geht und was ein absolutes No-Go ist, hat der Gesetzgeber schon für den Rahmen der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eindeutig erklärt und mögliche Ausnahmen festgelegt.

Auch im laufenden Arbeitsverhältnis kann sich die Frage nach der Zulässigkeit einer Lüge stellen. „Klar Chef, hab ich erledigt!“, ist laut Völkel so ein Beispiel. „Lügt der Arbeitnehmer über die Erledigung von Arbeitsaufgaben, kann das eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, bei schweren Verstößen auch eine außerordentliche Kündigung“, erklärt der Jurist. Ebenfalls ein Klassiker ist die Lüge, dass Mitarbeitende krank seien, obwohl sie im Urlaub sind. „Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.“

Dabei komme einem ärztlichen Attest zwar grundsätzlich ein hoher Beweiswert für das Vorliegen einer Erkrankung zu. Jedoch können beispielsweise Urlaubsfotos auf sozialen Medien dazu führen, dass der Beweiswert erschüttert wird, so der Fachanwalt für Arbeitsrecht. Für Annemarie Dwars käme so eine Lüge im Job übrigens nicht infrage, wie sie im t3n-Gespräch nachdrücklich erklärt: „Das geht viel zu weit.“

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