Unverbindlichkeit ruiniert unsere Zusammenarbeit
Wir sind vorsichtig geworden. Vor Verabredungen sagen wir: Lass uns Dienstag schauen, ob es passt. Finden wir keinen Termin, weil die nahe Zukunft schon zugeplant ist, dann sagen wir: Wir probieren es im Herbst noch einmal – als ob die nahe Zukunft dann nicht wieder völlig verplant wäre.
Unverbindlichkeit und Kreativität stehen bei der Arbeit in einem seltsamen Verhältnis: Ideen sollen gepitcht werden, Konzepte, manchmal ganze Strategien, an denen Expert:innen oder Teams wochenlang gearbeitet haben. Und dann? Wenn wir uns nicht melden, gilt Ihr Vorschlag als abgelehnt. Bitte keine Rückfragen.
Die kreative Konkurrenz, die so entsteht, mag die stärkere Partei bereichern. Sie ist aber hochgradig ineffizient. Hier wird ein Machtverhältnis ausgespielt: Uns interessiert eure Arbeit, aber erwartet nicht, etwas dafür zu kriegen. Aus der kreativen Arbeit wird ein Spiel auf Sieg. Wer dies ein paar Mal erlebt, wird sich emotional von den Produkten der eigenen Kreativität lösen. Die Botschaft: Herzblut lohnt sich nicht.
Und natürlich ist in solchen Fällen eine Vorab-Verpflichtung nicht zielführend. Aber Verbindlichkeit ist ein breites Spektrum. In Rechtsgeschäften meint sie, dass eine Partei einer anderen etwas schuldet. Zwischenmenschlich verstehen wir sie anders. Verbindlichkeit zwischen Menschen bedeutet im professionellen Kontext: Wir arbeiten gern miteinander und wir tun etwas dafür, dass diese Zusammenarbeit weitergeht.
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Was eine Moderatorin mir während meiner Recherche zu diesem Text erzählte, schiebt die fehlende Verbindlichkeit über die Grenze zur Unprofessionalität: Sie hatte eine Anfrage für eine große, prestigeträchtige Veranstaltung erhalten. Die Moderation hätte einige Tage Vorbereitung erfordert. Immer wieder bekam sie mündliche Versprechen – aber bis kurz vor dem Event keinen verbindlichen Auftrag und keine Honorarzusage. Eine Marketing-Managerin denkt daran zurück, wie ein großer Konzern ihr ein Jahr lang eine Bonuszahlung schuldig blieb. Heute arbeitet sie dort nicht mehr.
Und hier sehen wir das Problem: Verbindlichkeit ist unabdingbar in einer Zeit, in der häufiger außerhalb klassischer Unternehmensstrukturen gearbeitet wird. Und wer sich gegen Verbindlichkeit wehrt, der rutscht irgendwann aus dem Bereich der Professionalität raus. Die Unverbindlichkeit wird zum Vertragskiller. Freiberufler und Selbstständige wissen das. Wir sagen etwas zu und wir stehen zu unserem Wort. Das können wir, weil wir vor allem uns selbst Rechenschaft schulden.
Man merkt schnell, auf wen man sich verlassen kann. Eine Bekannte von mir – teils angestellt, teils selbstständig – wehrt direkt ab, wenn sie Wörter wie „perspektivisch“ liest. „Irgendwann, dann, wenn, … man fühlt sich nur hingehalten.“ Es sind Weichmacher in der Sprache, hat der Autor Fabian Neidhardt in einem TedX-Talk erläutert: „Vielleicht, ich glaube, wohl, quasi.“
Neidhardt spricht von der Vielleicht-Ära. Und diese sei – anders als häufig behauptet – kein Thema der jüngeren Generationen. „Das betrifft uns alle“, sagt Neidhardt. „Wir haben mehr Möglichkeiten“, das ist ein Grund. Gleichzeitig gebe es mehr Unsicherheiten. Geschlecht, Familienstruktur, Wohnort, Berufswahl, nichts ist mehr sicher und das bringt uns voran, sagt Neidhardt.
Aber es macht uns eben auch vorsichtig: Demnächst mal schreiben, bestimmt mal treffen – irgendwann. „Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem wir uns nicht mehr ernst nehmen“, sagt Neidhardt über die Unverbindlichkeit.
German Direktheit ist seine Lösung: Wir schränken unsere Aussagen nur noch ein, wenn wir wirklich müssen. Verbindlich zu formulieren, koste zwar kurzfristig mehr Energie. Langfristig stärke es aber die Beziehung. Wir können uns selbst und einander wieder ernst nehmen.
Ich habe über dieses Thema neulich auch mit Führungskräfte-Trainerin Anja Niekerken gesprochen. Sie rät zur Pünktlichkeit als Trainingsmethode: Wer einen Parkplatz suchen muss, der kann diese Zeit einplanen. Wer eine lange Bahn-Anreise hat, fährt lieber eine Stunde eher los.
Wer notwendige Ansagen oder Arbeitsteile nicht zeitnah liefere, verspiele Vertrauen – und Vertrauen ist schneller verloren als aufgebaut. Bei komplexeren Vorgängen können auch Wasserstandsmeldungen helfen: Sagt der anderen Partei, was sie wann erwarten kann. Diese Verbindlichkeit reduziert Unsicherheiten.
Solche Signale gestalten die Arbeitsbeziehung. Niekerken schreibt in ihrem frisch erschienenen Buch „Das Natural-Leadership-Prinzip. Mit bewusster Selbstführung zur Führungspersönlichkeit“ (Springer Gabler): „Vertrauen kann nur aufgebaut werden, wenn wir Ereignisse in der Zukunft berechnen können.“
Das ist herrlich-nerdy ausgedrückt, trifft es aber exakt: Wer keine Verbindlichkeit ausstrahlt, mit dem rechnen wir lieber nicht. Niekerken schreibt: „Wir müssen Menschen nicht in- und auswendig kennen, um ihnen vertrauen zu können. Es reicht, wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass sie tun und lassen, was sie sagen.“
Um sich selbst in die Verantwortung zu nehmen, rät sie zum Verlässlichkeitstagebuch: Welche Zusagen hast du gemacht und was ist daraus geworden? Radikale Ehrlichkeit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Verbindlichkeit.
Komplexer wird die Lage sofort, wenn Abhängigkeiten ins Spiel kommen. Das ist in Unternehmen oder großen Institutionen regelmäßig der Fall. Drei Aspekte halte ich für zentral:
- Zusagen sind Karrierefaktoren, weil sie Geld kosten können.
- Das Zwischenmenschliche spielt mit rein: Verbindlichkeit kann zu Enttäuschungen führen, zu Schmerz.
- Und Unverbindlichkeit ist ein Machtinstrument.
Wer Informationen hat, der steht vor einem kalkulierbaren Risiko. Dies gilt vor allem für die wirtschaftlich stärkere Partei. Wer weniger Informationen hat, der arbeitet unter Unsicherheit. Dies betrifft in der Regel die Auftragsnehmenden.
Wer sich absichern muss, der kann die Pufferzone innerhalb oder außerhalb des eigenen Problembereichs einrichten. Das bedeutet: Wer für ein Unternehmen eine Veranstaltung plant, aber noch unsicher ist, ob sich genügend Menschen anmelden, der kann das wirtschaftliche Risiko in der eigenen Institution ansiedeln. Dann werden Leistungen gebucht und Zusagen gemacht.
Wer plant, kann Risiken aber auch nach außen verteilen. Dann werden Leistungen angefragt, Zusagen aber so lange wie möglich hinausgezögert. Das verlagert die Unsicherheit auf die Vertragspartner:innen. Zeiten, Räume oder Equipment sollen bereitgehalten werden, gleichzeitig schmilzt eventuell nötige Vorbereitungszeit.
Wer so plant, der dient seiner Institution. Das Risiko wird gemindert. In einer Welt, in der Macht klar verteilt ist, entsteht für die stärkere Partei kein Problem: Die Auftraggebenden können alle anderen hinhalten, denn sie haben das Geld. Anders wird es, sobald die Leistungen gefragt sind – und wir leben in einer Zeit, in der viele Formen der Zuarbeit sehr gefragt sind, insbesondere im Bereich der hohen Qualität. Dies kann Machtverhältnisse ausgleichen.
Die Kehrseite der Unverbindlichkeit wird – in vielen Arbeitsbereichen – der steigende Preis sein. Denn wer sich selbst nicht verpflichtet, der hat am Ende auch niemanden verpflichtet. Das macht auch eine lang angekündigte Vereinbarung zu einer kurzfristigen Anfrage. Und die sind teuer. Je größer die Marktmacht des Partners oder der Partnerin, desto stärker wird diese Preiserhöhung ausfallen. Fast alle, die ich kenne, verdoppeln bei kurzfristigen Anfragen den Preis.
In der Rechtssprache ist die Verbindlichkeit eine Schuldigkeit. Im Umgang zwischen Menschen schulden wir sie einander – und uns selbst. Denn Verbindlichkeit ist nicht nur ein Aspekt von Rechtsverhältnissen. Sie gehört auch zur Menschlichkeit. Was für ein Mensch willst du sein? Möchtest du jemand sein, der anderen Sicherheit gibt? Dann mach das auch.
Zwischenmenschliche Verbindlichkeit ist kein Rechtsgeschäft. Sie ist ein soziales Schmiermittel.
Das führt uns zurück zum Herzblut. Junge Kreative investieren ihr Herzblut leidenschaftlich, offensiv. Später lernen sie dazu. Sie werden vorsichtiger. Menschliche Sicherheit wird es sein, die sie ihre Arbeit gut machen lässt. Dies ist eine Form der Sicherheit, die sich nicht in Verträgen abbildet, sondern in Verhalten. Niemand hat das schöner zusammengefasst als Story-Designerin Teresa Werner: „Verbindlichkeit hat mit klassischem Unternehmertum zu tun. Wer nicht verbindlich ist, sollte überhaupt nicht wirtschaften.“
Das kann wehtun. Zwischenmenschliche Verbindlichkeit kann in einer Welt der Rechtsgeschäfte dazu führen, dass wir nicht so arbeiten können, wie wir uns das ausgemalt haben. Der Schmerz der Enttäuschung trifft beide, der Schmerz des Enttäuschens nur die stärkere Partei. Es ist Selbstschutz, diesen Schmerz durch Unverbindlichkeit von sich fernzuhalten.
Doch in einer Zeit, in der Erwerbstätige die Wahl haben, mit wem sie arbeiten, werden sie die Verbindlichkeit wählen. Wer Verbindlichkeit nicht ausstrahlen kann, zahlt drauf. Verlässliche Partnerschaften entstehen so nicht. Stattdessen verstärken sich wirtschaftliche Unsicherheit und menschliche Unsicherheit einander. Offen bleibt, was am Ende mehr kostet.