So wenige Menschen könnten eine Marskolonie am Laufen halten
Eine Gruppe von amerikanischen Forscher:innen der George Mason University in Fairfax, Virginia, ist zu dem Schluss gekommen, dass eine Marskolonie mit nur 22 Kolonist:innen funktionieren könnte. Die Gruppe von Datenwissenschaftler:innen hat ihre Ergebnisse in einem Preprint-Paper mit dem Titel „An Exploration of Mars Colonization with Agent-Based Modeling“ vorgestellt.
Gegenüber der Technologie-News-Seite The Register äußerte sich mit Anamaria Berea eine Mitautorin der Studie. „Wir begannen unsere Studie, nachdem wir die Arbeit von Jean-Marc Salotti gesehen hatten, und wollten diese Zahl verifizieren“, so die außerordentliche Professorin für Computer- und Datenwissenschaften auf Anfrage der Seite.
Sie ging damit auf den Professor für Informatik an der Ecole Nationale Superieure de Cognitique, Institut Polytechnique de Bordeaux, in Frankreich ein, der bereits eigene Berechnungen aufgestellt hatte. In einem 2020 in Nature veröffentlichten Forschungsbericht kam Salotti zu dem Schluss, dass 110 Menschen für eine sich selbst versorgende Kolonie auf dem Mars erforderlich wären.
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Zuvor gab es lediglich Schätzungen. So wurde die Mindestgröße einer Kolonie in einer Studie aus 2003 auf 100 beziffert. Ein weiteres Papier zwei Jahre zuvor legte nahe, dass eine sich selbst erhaltende Kolonie von 500 Personen – die nicht als Mindestgröße genannt wurde – auf der Nordpolarkappe des Mars funktionieren könnte.
Berea berief sich nun auf Salotti und erklärte gegenüber The Register, dass in dem Nature-Artikel Annahmen getroffen wurden, die die Realität des sozialen und psychologischen Verhaltens und die Kontinuität menschlicher Interaktionen, selbst über räumliche Entfernungen hinweg, nicht berücksichtigten. Sie sagte: „Wir neigen dazu, Menschen oft nur als Zahlen oder Partikel ohne persönliche Anreize, Heterogenität und Anpassungsfähigkeit zu behandeln.“
Menschliche Gruppen seien aber komplexe Systeme, bei denen das Ergebnis nicht die Summe der einzelnen Teile sei, sondern synergetisch wirke. „Jedes soziale System weist Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, Emergenz und nichtlineare Dynamik auf.“
Berea berichtete zudem, dass ihr Team die Beziehung zwischen der Erde und dem Lebensraum auf dem Mars berücksichtigt habe. Das sei zuvor nicht der Fall gewesen.
Die Expertin ließ trotz ihrer Arbeit durchblicken, dass die Aufgabe trotz allem überaus kompliziert bleibe: „Es ist schwer, sich einen Lebensraum vorzustellen, der von der Erde völlig abgeschnitten und von Anfang an unabhängig ist, vor allem in einer Umgebung, die für menschliches Leben so unhaltbar ist wie der Mars, selbst wenn wir die beste Technologie hätten, um uns dort zu helfen.“
Weiter erklärte sie: „Das Szenario, dass man einfach eine Anzahl an Menschen irgendwohin schicken und sie dort überleben lassen kann, ist sehr unwahrscheinlich, auch weil es viel mehr kostet, Dutzende oder Hunderte von Menschen ins All zu schicken, als Versorgungsshuttles zu schicken.“
The Register hat auch Kontakt zu Salotti aufgenommen, der auf eine Anfrage per E-Mail antwortete: „22 ist in der Tat mit meiner 110 vereinbar, da verschiedene Probleme angesprochen werden. 22 ist akzeptabel, wenn Transporte von der Erde zur Versorgung möglich sind. Die Zahl könnte sogar niedriger sein. Das Problem bei dieser Art von Ansatz ist, dass die Ergebnisse stark von den Parametern abhängen, die willkürlich sind.“
Berea und ihre Co-Autor:innen hatten ihre Berechnungen der Marskoloniepopulation mithilfe der agentenbasierten Modellierung in einer Open-Source-Software namens Netlogo durchgeführt. Bei der agentenbasierten Modellierung (ABM) handelt es sich um eine Klasse von Computersimulationen, die sogenannte Agenten oder Individuen mit den relevanten Attributen, die den Individuen im wirklichen Leben ähneln, und auch die Regeln für die Interaktionen zwischen diesen Agenten kodieren.
Eines der Ergebnisse war, dass möglichst die Anzahl der Neurotiker:innen auf dem Mars minimiert werden sollte. „Marsbewohner mit der Psychologie der ‚Neurotiker‘ sterben mit einer viel höheren Rate als die anderer Psychologien, und sobald ihre Population ein ausreichend niedriges Niveau erreicht, stabilisiert sich die Siedlungspopulation“, heißt es in dem Papier.
Als Grundlage wurden fünf Durchläufe des Modells über einen Zeitraum von 28 Jahren genommen. Dabei sei eine Anfangspopulation von 22 das Minimum gewesen, das erforderlich war, um eine lebensfähige Koloniegröße auf lange Sicht aufrechtzuerhalten, heißt es in der Studie.