Wie uns die Apple Watch langsam verrückt macht
Bunte Farben bewegen sich auf dem Display, sie weiten sich und schrumpfen zusammen: Eine Ein-Minuten-Meditation flimmert auf meiner Apple Watch. Zum Abschluss bekomme ich eine Meldung – mein Puls soll bei 79 Schlägen pro Minute gelegen haben.
Wie? Das klingt aber nicht entspannt! Im weiteren Tagesverlauf wird meine Smartwatch mir noch mehrmals sagen, wie es mir geht oder eher: was ich tun sollte. Aufstehen! Training! Ich wundere mich, dass sie mich nicht ans Atmen erinnert. Abends checke ich dann in der zugehörigen App, wie es mir geht.
Moment … Ich schaue in der App, wie es mir geht? Das müsste ich doch eigentlich selbst spüren. Hm, aber dabei könnte ich ja falsch liegen. Vielleicht kennt mich meine ja Smartwatch besser, als ich mich kenne? Bevor ich in diesen Gedanken tiefer einsteige, vibriert es an meinem Handgelenk: Zeit, aufzustehen.
Empfehlungen der Redaktion
Ich habe die Uhr einige Zeit jeden Tag an meinem Handgelenk gehabt. Sie gab mir ein Gefühl von Sicherheit, eine dauerhafte Echtzeitüberwachung. Eigentlich erhoffte ich mir dadurch mehr Entspannung – allerdings hatte ich stattdessen wahrscheinlich eher mehr Stress.
Mit diesem Gefühl bin ich nicht allein: Expert:innen sehen die selbstständige Dauerüberwachung mit smarten Gadget teilweise kritisch. Es ist immer ein Abwägen: Tracking kann helfen, gesundheitliche Probleme zu erkennen, allerdings ist dafür ein bewusster Umgang mit dem Gadget gefragt. Wer mehrmals täglich ein EKG mit der Apple-Watch erstellt, hat dadurch wahrscheinlich keinen gesundheitlichen Nutzen, sondern setzt sich einfach nur zusätzlichem Stress aus.
Statt Sicherheit bekommen Nutzer:innen damit nur unnötige Verunsicherung – und wahrscheinlich ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit. In diese Kerbe schlagen auch Werbespots wie jüngst von Apple. Wer sieht, wie andere durch Hinweise der Smartwatch gerettet werden konnten, und selbst eher der Hypochonder-Fraktion angehört, setzt das Produkt wahrscheinlich auf seine Wunschliste. Und so wächst der Markt für smarte Gadgets, Tracker liegen im Trend.
Dabei hoffen wir, durch die ständige Eigenüberwachung gesünder zu leben – das lässt uns die dazugehörige Werbung ja auch glauben. Mit dem Tracken kann aber auch ein Teufelskreis losgehen: Das Gadget wird unverzichtbar, weil die Angst wächst, lebensbedrohliche Körperveränderungen nicht rechtzeitig wahrzunehmen. Das ist dann die Fomo – fear of missing out – im Gesundheitsbereich: die Angst, die eigene Gesundheit zu verpassen.
Wahrnehmen ist dabei ein wichtiges Stichwort: Durch das Tracken können wir nämlich auch unser Körpergefühl verlieren. Wenn wir nur noch schauen, was eine App uns sagt, könnte das uns bezüglich unserer eigenen Gefühle für den Körper verunsichern. Dazu ersetzt das Tracking, ob mit Gadget oder App, auch keine ärztliche Überwachung oder Kontrolle.
Gadgets können uns helfen, wenn wir mit ihnen in einem gesunden Maß umgehen können. Sie können helfen, einen zu hohen Puls zu erkennen oder etwa Fitness-Ziele zu erreichen. Wenn sie uns allerdings erinnern müssen, aufzustehen oder Wasser zu trinken, dann sollten wir uns nicht einfach stumpf auf sie verlassen, sondern wieder lernen, unser eigenem Körpergefühl zu vertrauen – dafür müssen wir allerdings all die klingelnden Sachen abstellen.
Ich selbst nehme meine Uhr nur noch zum Sport und bin erleichtert, dass die Pseudo-Vibration an meinem Arm nach einigen Tagen aufgehört hat. Das war ein ziemlich gutes Gefühl, das auch kein Tracker aufzeichnen konnte.