KI-Aktien: Spekulationsblase oder neue Börsenstars?
Die Zinsen sind hoch, der Wirtschaftsausblick schlecht – im vergangenen Jahr hat das dazu geführt, dass Tech-Aktien eher unter Druck standen. Doch im ersten Halbjahr 2023 gab es einen unglaublichen Boom an den Aktienmärkten. Getrieben wird der aktuelle Hype von sieben Aktien, die eines gemeinsam haben: die Hoffnung, dass künstliche Intelligenz (KI) ein Gamechanger für Wirtschaft und Gesellschaft sein wird.
Das McKinsey Global Institute (MGI) analysierte in einer Studie, dass KI-Technologien weltweit einen jährlichen Produktivitätszuwachs von umgerechnet 2,4 bis 4,1 Billionen Euro ermöglichen. Besonders hohes Potenzial sehen die Autoren dabei in den Bereichen Kundenservice, Marketing und Vertrieb, Softwareentwicklung sowie Forschung und Entwicklung.
Die auch „Magnificent 7“, also „glorreiche Sieben“, genannten Aktien sind fast deckungsgleich zu den Big-Tech-Werten, die unter dem Akronym FAANG in den vergangenen Jahren das Börsengeschehen getrieben haben. Zu den sieben KI-Hoffnungsträgern an der Börse gehören Meta (der Mutterkonzern von Facebook), Apple, Amazon und Alphabet (der Mutterkonzern von Google). Außerdem sind zwei neue Börsenstars dabei: der Elektroautobauer Tesla und Chipproduzent Nvidia.
Ausgelöst wurde die Euphorie am Aktienmarkt von der Einführung von ChatGTP. Im November 2022 stellte OpenAI sein Large-Language-Modell (LLM) vor. Generative KI wie diese wird die Gesellschaft tiefgreifend verändern und Firmen, die an ähnlichen Modellen arbeiten, werden davon profitieren – so die Erwartung. Entsprechend profitierten an den Börsen zuletzt vor allem US-Tech-Firmen vom ChatGTP-Launch, die selbst am KI-Trend arbeiten.
Microsoft ist seit 2019 am Entwickler des Textgenerators OpenAI beteiligt und integriert ChatGPT in seine Produkte und die Suchmaschine Bing. Alphabet hat mit Bard und Meta mit Llama bereits einen eigenen Chatbot als Konkurrenz zu ChatGPT ins Rennen geschickt. Amazon bietet als Cloud-Marktführer über seine Plattform Bedrock Zugang zu verschiedenen Sprachmodellen. Auch Apple arbeitet an einem ChatGTP-Konkurrenten und will mit KI das iPhone „transformieren“. Der große Vorteil der Tech-Giganten: Sie können von Anfang an eine große Mengen an Daten sammeln konnten und so ihre Position in der aufstrebenden KI-Industrie sichern.
Ein besonderer Profiteur des KI-Hypes ist aber der Chiphersteller Nvidia, dessen Börsenwert Ende Mai die Schallmauer von einer Billion Dollar (rund 933 Milliarden Euro) durchbrochen hat. Seine Computerchips sind eigentlich für Grafikanwendungen optimiert, erweisen sich jetzt aber auch bei KI-Anwendungen als besonders leistungsstark. Denn ChatGPT und Co. brauchen viel Rechenpower, um anhand von Stichwörtern Texte, Bilder oder Videos zu generieren.
Auch die Startup-Szene profitiert von dem KI-Hype – und oft sind es die Magnificent 7, die sich an den großen Investments beteiligen. US-Startups, die LLM entwickeln, kommen derzeit wieder an Milliarden-Finanzierungen, wie das Beispiel Inflection AI zeigt. Dort haben neben Bill Gates unter anderem auch Microsoft und Nvidia insgesamt 1,3 Milliarden-Dollar investiert.
Die Finanzierungsrunde in Europa sind da noch bescheidener. Allerdings konnte auch das Heidelberger AI-Startup Aleph Alpha mit seinem LLM Luminous zuletzt große Investoren anlocken: Neben dem deutschen Software-Riesen SAP stiegen auch Intel und Nvidia in einer 100 Millionen Euro schweren Finanzierungsrunde mit ein.
Gemeinsam haben die Magnificent 7 den S&P 500, einen Aktienindex, der die Aktien der 500 größten börsennotierten US-Unternehmen umfasst, zuletzt fast im Alleingang in die Höhe getrieben. Die US-Börse hat gegenüber ihrem im Oktober erreichten Tief mehr als 20 Prozent gewonnen.
Analysten wie Savita Subramanian von der Bank of America gehen davon aus, dass die sieben KI-Werte die Entwicklung der anderen Aktien im S&P 500 nach oben ziehen kann. Man befinde sich wieder in einem Bullenmarkt, der dazu beitragen könnte, Anleger wieder für Aktien zu begeistern.
Auch der Technologie-Index Nasdaq-100 wurde von den starken KI-Aktien auf ein Plus von mehr als 40 Prozent seit Jahresbeginn getrieben. Die Aktienkurse der sieben Unternehmen entwickelten sich dabei so gut, dass sie in dem Tech-Index eine Unwucht auslösten. Anfang Juli erreichten sie im Nasdaq-100 ein Gewicht von rund 58 Prozent, alle anderen 93 Aktien machten zusammen nur noch 42 Prozent aus. Deshalb sah sich der Indexanbieter zum Eingreifen gezwungen: Anfang der Woche wurde der Nasdaq-100 neu gewichtet und die Anteile der KI-Aktien auf 44 Prozent reduziert.
Der überproportionale Erfolg der Magnificent 7 macht Marktbeobachter auch skeptisch. Kritiker sprechen bereits vor einer Spekulationsblase. So warnte Michael Hartnett, Chefstratege bei der Bank of America, im Mai diesen Jahres vor der „Baby-Blase“, die sich rund um die KI-Aktien bilde. Er vergleicht die erste Phase des KI-Booms unter anderem mit der Dotcom-Blase. Solche Blasen hätten in der Vergangenheit immer mit „billigem Geld“ begonnen. Sie könnte aber auch durch steigende Zinsen wieder ein schnelles Ende finden. Das sei auch 1999 der Fall gewesen, als die Börsenrally bei Internetwerten durch Leitzinserhöhungen beendet wurde.
Viele Projekte im Technologiesektor sind kreditfinanziert, sie bekommen daher Probleme, wenn die Zinsen steigen. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die Zinserhöhungen der großen Notenbanken haben daher dazu geführt, dass die Aktienmärkte 2022 unter Druck gekommen sind – insbesondere die großen Tech-Konzerne bekamen Gegenwind.
Auch Peter Berezin von der kanadischen Analysefirma BCA Research sprach im Handelsblatt zuletzt von einer Blase bei KI-Aktien. Nach seiner Einschätzung muss das aber nicht bedeutet, das diese Spekulationsblase auch platzen wird. Im Gegenteil: „Diese Blase wird sich in den nächsten Monaten weiter aufblähen“, meint Berezin.
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Allerdings folgt der KI-Hype damit auch dem Schema anderer großen Marktzyklen – mit allen Chancen und Gefahren, die damit verbunden sind. Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Andres erforscht, wie solche Hypes an den Märkten entstehen. Am Anfang stehe immer etwas ganz Neues, eine Erfindung. „Man weiß bereits, diese Innovation kann unser Leben verbessern. Wie sie das genau schafft, ist aber noch nicht klar“, erklärt er im Interview mit der Zeit. Schon die Hoffnung reiche aber aus, viele Menschen von ihr zu überzeugen.
In der Theorie der Hype-Zyklen folge auf den Gipfel der überzogenen Erwartungen dann aber auch das Tal der Enttäuschungen. Die könnte beispielsweise durch die Ernüchterung über das in Wahrheit doch begrenzte Potenzial der Technologie oder durch den regulierenden Eingriff von Staaten ausgelöst werden.
Ob am Ende die Anbieter der großen Sprachmodelle die wirklichen Profiteure des KI-Hypes sind, ist auch noch nicht ausgemacht. Andere Industrien könnten mit der Zeit sogar stärker von der Technologie profitieren und neue Anbieter an den großen Playern vorbeiziehen, die heute an der Börse so hoch bewertet werden.