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Kampf gegen Plastikmüll – mit Booten und Künstlicher Intelligenz

In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir regelmäßig die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Wer steckt hinter dem Unternehmen? Was macht das Start-up so besonders und was gibt es zu kritisieren? Heute: Everwave.

Start-ups: Das klingt nach Erfindergeist, Zukunftstechnologien und neuen Märkten. Doch in der Realität erweisen sich viele der Neugründungen leider oft als eine Mischung aus einer E-Commerce-Idee, planlosen Gründern und wackeligen Zukunftsaussichten.

Dabei gibt es sie durchaus: Die Vordenker, die an den großen Problemen tüfteln und Geschäftsmodelle revolutionieren. Diese zu finden und vorzustellen, ist die Aufgabe des Formats Start-up-Check. Heute: Everwave aus Aachen.

Eine halbe Million, vier, elf oder sinds doch zwölf Millionen Tonnen? Die einen sagen so, die anderen so, aber bei der Frage danach, wieviel Plastikmüll denn nun tatsächlich in den Meeren, Flüssen und Seen dieses Planeten landet, winken alle gleich desillusioniert ab. Denn der Karren wurde längst in den tiefen Sand gefahren.

Fakt ist: Jedes zusätzliche Gramm Mikro- oder Makroplastik in den Gewässern dieser Welt, ist eines zu viel. Die eigentliche Frage muss also lauten, wie er, der Karren, sich da wieder rausziehen lässt. Was also können wir gegen die scheinbar unendliche Plastikmülllawine und die Gewässerverschmutzung unternehmen?

Wer steckt hinter Everwave?

Diese Frage stellte sich auch Marcella Hansch während eines Urlaubs auf den Kapverden vor etwas mehr als zehn Jahren. Dort schoss ihr der zündende Gedanke während eines Tauchgangs durch den Kopf. Denn dabei begegneten ihr zwar auch viele bunte Fische, aber eben auch Plastikmüll.

Der „erste Kontakt“ mit dem Thema Meeresverschmutzung gibt der Architekturstudentin zu denken gibt. Sie findet heraus, wie weit fortgeschritten die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll tatsächlich ist. Dagegen will die junge Frau etwas unternehmen. Als erste Maßnahme entschließt sie sich dazu, ihre Masterarbeit diesem Thema zu widmen. Nur: wie geht eine Masterarbeit der Architektur mit Meeresrettung zusammen?

Die Geburtsstunde einer Vision

Marcella beginnt zu recherchieren. Um einen Ansatzpunkt zu finden, taucht sie erneut ab: Sie erkundet architekturfremde Disziplinen wie etwa die Strömungstechnik, die Kunststoffherstellung oder das Recycling. Dann geht ihr ein Licht auf.

Ihr detektivisches Gespür bringt sie zu einer Kernerkenntnis: Während zum Beispiel Kläranlagen Wasser nach dem Sedimentationsprinzip reinigen, bei dem sich Wasserbestandteile, die schwerer als das Wasser selbst sind, absetzen, warum nicht dieses Prinzip einfach umkehren, um das Wasser von Plastikmüll zu befreien?

Denn: Plastik ist leichter als Wasser. Es senkt sich also nicht ab, sondern schwimmt vielmehr auf der Wasseroberfläche. Nur wie lässt sich dieser Plastikmüll im großen Stil einsammeln?

Dieser geradezu magische Gedanke ist die Geburtsstunde einer Vision. Sie bringt die kreative Studentin im Zuge ihrer Forschungen auf die Idee, eine Plattform zu entwickeln. Dabei kommt ihr der vorherige Deep Dive in die Strömungstechnik zu Hilfe. Da Plastik leichter als Wasser ist, muss es irgendwie strömungsresistent werden, um selbst kleinste Partikel überhaupt an der Oberfläche orten und dann einsammeln zu können.

Aus diesem Grund muss sich die Plattform durch eine hochfunktionale Bauweise auszeichnen, die in der Lage ist, Strömungen extrem zu beruhigen. Dadurch gelangen selbst kleinste Kunststoffpartikel an die Wasseroberfläche, wo sie dann abgeschöpft werden können. Fische, andere Meeresbewohner, ja die gesamte Wasserwelt würde fortan nicht mehr durch Plastikmüll geschädigt. Positiver Nebeneffekt: Das eingesammelte Material ließe sich sogar in Biokunststoffe und saubere Energie umwandeln.

Everwave will Plastikmüll beseitigen, bevor er in die Meere gelangt

Diese Idee entwickelte Marcella mit Gleichgesinnten weiter, bis sie zur Gründerin wurde. Heute vermarktet sie mit Everwave aber nicht nur die sogenannte HiveX-Plattform mit großem Erfolg. Hinter Everwave verbirgt sich vielmehr eine umfassende, ganzheitliche Strategie. Wesentlich dabei: die konzeptionelle Neuausrichtung, Plastikmüll nicht erst in den Meeren einzusammeln, sondern schon bevor er dorthin gelangt.

Deshalb konzentriert sich Everwave bei seiner Mission nunmehr auf die Reinigung von Flüssen. Dazu greift das Unternehmen zwischenzeitlich nicht mehr nur auf HiveX zurück. Zum Einsatz kommen auch aktive Technologien, wie das Müllsammelboot CollectiX. Auf diese Weise sammelt Everwave Müll nicht nur auf hocheffiziente Art und Weise ein, sondern führt ihn in einen nachhaltigen Kreislauf zurück.

Kampf gegen Plastik: Künstliche Intelligenz sammelt Daten

Dabei hilft KI. Mit Hilfe von Drohnen und Sensoren auf dem Müllsammelschiff CollectiX sammelt Everwave Daten, die mit Bilderkennungsalgorithmen ausgewertet werden. Sie liefern beispielsweise Informationen über Art, Beschaffenheit, Menge oder Gewicht des Plastikmülls und geben Aufschluss darüber, wo genau der Plastikmüll in die Flüsse gelangt.

Damit stellt Everwave nicht nur seine eigene Relevanz unter Beweis, sondern leitet daraus auch konkrete Empfehlungen an Behörden und andere staatliche Institutionen ab, mit denen sich der Eintrag von Plastikmüll in die Flüsse stoppen lässt.

So entsteht ein intelligentes Gesamtkonzept, das einerseits Mikroplastikmüll passiv über die HiveX-Plattformen und andererseits Makroplastikmüll aktiv über die CollectiX Müllsammelboote aus den Flüssen entfernt. Der Müll wird anschließend dem Recycling-Kreislauf zugeführt und dort nachhaltig und ökologisch wiederverwertet.

Beachtlicher Impact

Der Impact, den das junge Unternehmen mit dieser Strategie erzielt, ist beachtlich. So sammelte das Team um Gründerin Marcella Hansch in den letzten drei Jahren bereits über eine Million Kilogramm an Plastikmüll aus Binnengewässern ein. Während die ersten Einsätze in Osteuropa konnte Everwave die jeweils eingesammelten Mengen kontinuierlich steigern.

Alleine die Cleanup Mission – so nennt das Unternehmen seine Einsätze – in Rumänien befreite dort den Voila-Damm des Donau-Nebenflusses Alt mit nur einem Müllsammelboot von knapp 156.000 Kilogramm Plastikmüll.

In welche Dimensionen die Reise gehen kann, zeigt jedoch das jüngste Projekt aus diesem Jahr in Südost-Asien. In Kambodscha sammelte Everwave binnen weniger Monate über 692.000 Kilogramm an Müll ein. Und der Einsatz ist noch nicht abgeschlossen.

Damit erfüllt Everwave zweifellos alle Voraussetzungen, um einen echten Unterschied im Kampf gegen Gewässer- und Meeresverschmutzung durch Plastikmüll zu machen. Die wirklich einzigartige Story des Unternehmens beweist einmal mehr, über welches Potenzial kreative Ideen, die reale Probleme lösen, tatsächlich verfügen.

Fazit: Ist Everwave bereit für die große Bühne?

Während das attraktive Konzept und die durchdachte Strategie zu überzeugen wissen, gilt es jedoch nach wie vor, die große Hürde der Skalierung zu überwinden. Mit der Cleanup Mission in Kambodscha bewegt sich Everwave erstmals auf einem Niveau, das nicht nur die Leistungsfähigkeit der Technologie eindrücklich beweist, sondern die Tür zu dynamischem Wachstum auf internationaler Ebene weit aufstoßen könnte.

Der weltweite Bedarf ist – vor allem auch auf der Südhalbkugel – zweifellos vorhanden. Aber: Globales Wachstum kostet Geld. Aus meiner Sicht entscheidend wird also sein, ob das auf Gemeinnützigkeit ausgerichtete Unternehmen dazu bereit ist, über die bereits vorhandenen Partnerschaften, das Crowdfunding, den Verkauf von Plastic Credits und die Generierung von Spenden hinauszugehen und finanzkräftige Investoren mit einem Bewusstsein für Ökologie und Nachhaltigkeit an Bord zu holen.

Sie könnten dem gesamten Projekt nicht nur in finanzieller, sondern auch in strategischer Hinsicht einen echten Boost verleihen. Um sich vor diesem Hintergrund für den globalen Markt fit zu machen, müssen Prozesse weiter optimiert, Kosten gesenkt und die Müllsammelplattformen und -boote zu einer Flotte ausgebaut werden.

Damit käme Everwave seinem Ziel, auf globaler Ebene einen entscheidenden Beitrag zu sauberen Gewässern zu leisten, ein großen Schritt näher. Denn aus meiner Sicht hat die grandiose Grundidee, die Marcella Hansch einst beim Tauchen auf den Kapverden durch den Kopf schoss, zweifellos das Zeug für die „große Bühne“.

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