5 Trends, die die Medizin von morgen prägen
Schon seit einigen Jahren ist im Health-Tech-Sektor ein Wachstum und ein Bedeutungswandel zu beobachten. Das hat einerseits damit zu tun, dass Startups auf diesem Gebiet das Leben der Menschen datenbasiert verbessern können, und ist andererseits auch auf den demografischen Wandel unserer Gesellschaft zurückzuführen.
Denn in den westlichen Demokratien werden die Menschen im Schnitt immer älter (und der Anteil der Senior:innen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft nimmt weiter zu), während in den Emerging Markets die sich verbessernden Lebensumstände dafür sorgen, dass immer mehr Menschen in den Genuss gesundheitlicher Annehmlichkeiten kommen.
Alleine für Deutschland rechnet die Branche für dieses Jahr laut den Statista Market Insights mit 4,04 Milliarden Euro Umsatz, wobei der E-Health-Sektor auf 2,15 Millarden, der Digital Fitness und Wellbeing-Bereich auf immerhin 1,89 Milliarden Euro kommen. Doch stetiges Wachstum soll auch in den nächsten Jahren anhalten: Im Jahr 2027 gehen die Marktforscher von einem Gesamtvolumen von 5,58 Milliarden Euro aus.
Weltweit sieht die Prognose sogar noch rosiger aus: Hier soll dieses Jahr ein Umsatz von umgerechnet knapp 160 Milliarden Euro erreicht werden, bis 2027 rechnen die Analyst:innen mit 245,7 Milliarden Euro – ein stetiges Wachstum von 11,35 Prozent year over year.
Entstanden ist – in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlich starker Ausrichtung in den einzelnen Ländern – ein Ökosystem aus Health-Tech-Startups, also jenen technologieorientierten Unternehmen, die innovative Lösungen entwickeln, um die Gesundheitsbranche zu revolutionieren und den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Diese Startups kombinieren Gesundheitswesen mit Technologie, um neue Produkte, Dienstleistungen und Plattformen zu schaffen, die sowohl Patient:innen als auch deren Anbietern zugutekommen können. Und neben den auf die Behebung gesundheitlicher Probleme fokussierten Anwendungen stehen zahlreiche Unternehmen auch für Digital-Fitness-Dienste und die Erhaltung der Gesundheit durch Bewegung und Sport.
Die Art, wie die Health-Tech-Startup-Welt mit etablierten Großkonzernen zusammenarbeitet, ist ähnlich der in der Fintech-Welt: Viele große Konzerne erkennen das Potenzial und binden entweder durch Kooperation oder Beteiligung Startups an sich, die oftmals an entscheidenden Schnittstellen „unter der Haube“ oder aber in Geschäftsfeldern, die in der Vergangenheit nicht abgedeckt wurden, mit diesen zusammenarbeiten.
Beispiele hierfür sind etwa der Smartwatch- und Fitnessarmbandhersteller Fitbit, der seit einigen Jahren zu Alphabet gehört oder aber auch One Medical, die für einen Milliardenbetrag inzwischen von Amazon übernommen wurden und virtuelle oder persönliche Arztbehandlungen vermitteln und anbieten. Doch es sind gerade angesichts der schwierigeren wirtschaftlichen Lage eher die Digitalkonzerne als die Versicherungen und Pharma-Unternehmen, die hierfür die nötige Phantasie entwickeln und den zugegebenermaßen teuren, gewagten Schritt gehen.
Contents
- 1 Unterschiedliche Bedürfnisse in Industrieländern und Emerging Markets
- 2 Förderung und internationale Schwerpunkte
- 3 Trend 1: Telemedizin ergänzt den Gang in die Praxis
- 4 Trend 2: Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) als Metatrend
- 5 Trend 3: Tragbare Gesundheitstechnologie (Wearable Tech) zur Datenerhebung
- 6 Trend 4: Digitale Gesundheitsakten (EHR) und Gesundheits-Apps zur Selbstverwaltung:
- 7 Trend 5: Personalisierte Medizin und Genomik – Hoffnung auf eine bessere Medizin
- 8 Fazit: Boombranche mit besten Aussichten
Unterschiedliche Bedürfnisse in Industrieländern und Emerging Markets
Bemerkenswert ist dabei, wie sehr sich die Trends in den Industrieländern, in denen die Krankenversicherung über die Jahrzehnte für weite Teile der Bevölkerung zum Standard geworden ist, von Ländern ohne ein derartig ausgeprägtes Gesundheitssystem unterscheiden. Während etwa in vielen europäischen Ländern entweder die Krankenversicherung gleich der staatlichen Sozialversicherung zugeordnet ist oder es wie in Deutschland zumindest eine Krankenversicherungspflicht gibt, sind etwa in den USA Krankenversicherungsleistungen in ihrem Umfang stark vom Arbeitgeber und der gewählten Versicherung abhängig – und vieles muss persönlich übernommen werden, was in vielen Fällen zu hohen finanziellen Belastungen führen kann. In vielen Schwellenländern, etwa im südamerikanischen und afrikanischen Raum sind umfassende Krankenversicherungen wie bei uns eher die Ausnahme als die Regel.
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Allen Märkten gemein ist dabei, dass die Technologie als treibende Kraft die Gesundheitsbranche transformiert und dazu beiträgt, die Art und Weise, wie Gesundheitsversorgung erbracht wird, zu verbessern.
Auch wenn hier immer noch das Silicon Valley eine entscheidende Rolle spielt, ist es bei Weitem nicht so dominierend, wie wir das aus anderen Bereichen der Digitalisierung und der Startup-Szene kennen. Viele Entwicklungen kommen auch aus Großbritannien, Deutschland und der Schweiz, aus Israel und aus den asiatischen Ländern (hier vor allem Indien, China und Singapur). Das hat mit der Förderung zu tun, die den Startups in ihrem jeweiligen Heimatmarkt entgegengebracht wird.
Während etwa das Singapore Economic Development Board Health-Tech-Startups durch Finanzierungsprogramme und die Bereitstellung von Ressouren fördert, gewährt die Israel Innovation Authority Zuschüsse und Investitionen, um Innovationen im Gesundheitswesen zu fördern – hinzu kommen gerade in Israel umfassende staatliche Förderungen, um Startups hier anzusiedeln.
Und auch bei uns unterstützt die Initiative Digital Health Germany Startups im Bereich der digitalen Gesundheitstechnologie mit Mentoring, Beratung und Finanzierung. Schweden schließlich bietet vor allem steuerliche Anreize für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung von Gesundheitstechnologien zu investieren bereit sind.
Gerade bevölkerungsreiche Gesellschaften, die zunehmend reicher werden, wie etwa Indien und China, verfügen über eine schnell wachsende Health-Tech-Szene, die von einem starken Bedarf an bezahlbarer und zugänglicher Gesundheitsversorgung getrieben wird. Die Startups konzentrieren sich oft auf Telemedizin, Gesundheits-Apps und digitale Gesundheitsakten.
Und während insbesondere beim Datenschutzthema in den europäischen Ländern (durchaus berechtigte) Bedenken die Diskussion dominieren, wird anderswo „einfach entwickelt“. Das ist auch der Grund, warum – neben der unterschiedlichen Ausgangslage, was Krankenversicherungssysteme und daraus resultierende Erlösmodelle betrifft – viele Health-Tech-Startups nicht so einfach von einem Markt aus den nächsten erschließen können. Dennoch gibt es ein paar globale Trends, die das Health-Tech-Ökosystem in den letzten Jahren prägen und weiterbringen:
Da ist zum einen die Telemedizin. Diese ermöglicht medizinische Beratungen, Diagnosen und sogar Behandlungen über digitale Plattformen. Solche Dienste müssen aufgrund der extrem persönlichen Dinge, die hier besprochen werden, besonders (abhör-)sicher sein. Beispiele dafür sind Teleclinic in Deutschland sowie das in Großbritannien entstandene Startup Babylon Health, die sich auf Telemedizindienste und KI-gesteuerte Gesundheitsberatung spezialisiert haben.
Doch solche Dienste sind in den unterschiedlichen Staaten unterschiedlich profitabel – aufgrund unterschiedlich strenger Datenschutzgesetze, aber auch angesichts der sich unterscheidenden Erlösmodelle und Gepflogenheiten im Hinblick auf die Krankenversicherung. Das schwedische Unternehmen Kry hat sich beispielsweise Ende 2022 aus Deutschland zurückgezogen und will in anderen Staaten seine Kundschaft finden.
Dennoch hat die Telemedizin – rein personenbasiert, aber auch mithilfe von automatisierten Elementen – in den letzten Jahren (vor allem auch während der Covid-Pandemie) stark an Bedeutung gewonnen und wird voraussichtlich auch in Zukunft ein wichtiger Trend bleiben. In Deutschland und Europa ist die Telemedizin gerade außerhalb der Ballungsräume und Metropolenregionen besonders wichtig geworden, da sie den Zugang zu medizinischer Versorgung in ländlichen Gebieten verbessert und dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel entgegenwirkt.
Viele der Health-Tech-Startups haben entweder mittelbar oder unmittelbar mit dem Megatrend (und zugleich Metatrend) KI zu tun. Denn solche Lösungen werden dort immer häufiger unterstützend eingesetzt, um Ärzte bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu unterstützen. Sie können auch dazu beitragen, medizinische Prozesse zu optimieren und zu automatisieren.
Ein Beispiel ist hier die bildgebende Diagnostik in der Krebsforschung, die, naturgemäß, deutlich präzisere Ergebnisse liefern kann, da sie im Rahmen der Diagnose eine riesige Zahl an Befunden und Ergebnissen „kennt“ – mehr als jede in der Onkologie tätige Person.
So erhalten menschliche Expert:innen die berühmte zweite Meinung, die sich auf eine Vielzahl an Beispielen stützt und präziser als der Mensch mit stochastischen Verfahren arbeiten kann. Ersetzen wird sie das Urteil der Fachleute dennoch nicht, wohl aber unterstützen. Das bereits 2014 gegründete israelische Startup Zebra Medical Vision ist ein gutes Beispiel dafür.
Das Startup-Unternehmen nutzt Deep Learning zur Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen der nächsten Generation für das Gesundheitswesen. Die bildgebende Analyseplattform des Unternehmens bietet medizinischen Einrichtungen Hilfsmittel, um Krankheitsrisiken bei ihren Patient:innen zu identifizieren und deren Therapie zu unterstützen.
Als ein weiterer wichtiger Trend der Health-Tech-Wirtschaft stehen Wearables aller Art im Fokus, die weit über das reine Tracken der wichtigsten Körperfunktionen hinausgehen und als ernsthafte medizinische Devices gewertet werden können. Diese Technologie ermöglicht es Verbraucher:innen, ihre Gesundheitsdaten zu verfolgen und analysieren zu lassen.
Im besten Fall können solche Lösungen dazu beitragen, dass ältere Menschen länger ohne fremde Hilde in ihrer Wohnung bleiben können und dennoch im Gefahrenfall ein Problem wahrgenommen wird. Gerade in den Industriestaaten mit älter werdender Bevölkerung ist das ein interessantes und zukunftsträchtiges Geschäftsfeld, für das unter anderem Unternehmen wie Fitbit und Withings, aber auch einige spezialisierte Startups mit speziellem Medizin-Fokus stehen.
Wesentlich weiter gehen Lösungen für die Fernüberwachung von Patienten (Remote Patient Monitoring). Der zentrale Nutzen solcher Systeme besteht darin, Gesundheitsdaten von Patient:innen zu sammeln und zu analysieren, ohne dass dafür ein Krankenhaus aufgesucht, Gesundheitspersonal hinzugezogen oder Untersuchungen vorgenommen werden müssen.
Expert:innen der Unternehmensberatung KPMG schätzen, dass bis 2024 weltweit mehr als 30 Millionen Patient:innen solche Fernüberwachungssysteme – also meist Wearables, die den Patienten von den Krankenkassen oder Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden – nutzen können.
Je nach Einsatzzweck überwachen und steuern sie eine Reihe von Prozessen, von der Atmung und dem Herzrhythmus über den Blutzuckerspiegel bis hin zum Aktivitätsniveau, Schlaf und vieles mehr. Sie erinnern an die Einnahme von Medikamenten oder Insulinspritzen, kontrollieren die Schlafatmung, um Asthmaanfällen vorzubeugen, oder ermitteln rund um die Uhr wichtige Gesundheitsdaten und leiten diese an das Krankenhaussystem weiter.
Natürlich ist auch hier wieder eine Verschränkung mit künstlicher Intelligenz und Big Data zu beobachten – denn das reine Erfassen und Verarbeiten der Gesundheitsdaten ist nur ein Teil der Aufgabe. Letzten Endes kann die gesamte Gesundheitswirtschaft und die Gesellschaft davon profitieren, wenn solche Devices dafür sorgen, dass ein Notfall schneller erkannt wird oder gar bereits (ähnlich wie beim „Predictive-Maintenance“-Ansatz in Industrieanlagen) die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen angeraten werden, bevor die Patient:innen eine Unregelmäßigkeit bemerken.
Elektronische Gesundheitsakten können den Austausch von medizinischen Informationen zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen erleichtern, Behandlungen effizienter gestalten und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Gesundheitsdienstleistern verbessern. Während in den westeuropäischen Gesellschaften eher Themen wie Privatsphäre und Datenautonomie und die Vielfalt der vorhandenen Daten eine Herausforderung sind, sind die Needs in vielen außereuropäischen Staaten hier allerdings etwas anderes gelagert.
Hinzu kommen verschiedene Gesundheits-Apps, mit deren Hilfe es Patient:innen ermöglicht wird, ihre Gesundheit eigenständig zu verwalten, etwa Apps für Medikamentenverwaltung. Auch in diesem Kontext anzusiedeln sind die On-Demand Health-Services, die meist auf bestimmte Themen (etwa Nachsorge für junge Mütter, Krebsbetreuung, Stressbewältigung oder Ernährungsfragen) bezogen sind. Diese stehen für Gesundheit auf Abruf und für bessere Organisationsprozesse und werden insbesondere in immer mehr Industrieländern von den jeweiligen Krankenversicherungen oder dem Staat bezahlt.
Auch Apps, die in eine organisatorische Richtung gehen, sind hier zu nennen – also jene Tools, die beispielsweise die Lieferung von Medikamenten organisieren, bei der Buchung von (Fach-)Arztterminen und Therapiesitzungen unterstützen oder virtuelle Arztgespräche vorab ermöglichen, wenn der Facharzttermin in weiter Ferne liegt. Unternehmen wie Zocdoc in den USA und Doctolib in Frankreich stehen hierfür beispielhaft. In vielen Fällen haben sie mit der Knappheit an medizinischer Versorgung und den daraus resultierenden Engpässen zu tun, die beileibe nicht nur das deutsche Gesundheitssystem prägen.
Und dann ist da noch ein Betätigungsfeld der Health-Tech-Unternehmen, in das Patient:innen und Ärzt:innen gleichermaßen große Hoffnungen setzen: das der individualisierten und personalisierten medizinischen Hilfe, das zumindest teilweise Hand in Hand mit genomischen Startups geht. Durch die Analyse von Patienten-DNA können Ärzte langfristig Behandlungsstrategien entwickeln, die auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten sind. In diesem Bereich sind (eigentlich seit Jahren) 23andme, Ancestry-DNA und Foundation Medicine tätig.
Im Teilbereich der personalisierten Medizin gibt es darüber hinaus auch weitere Unternehmen, allen voran Biontech, die, bis zu ihrem Siegeszug in der Covid-Forschung, spezialisiert auf individuelle Krebstherapien waren – und jetzt angesichts des Geldsegens der letzten Jahre hier wohl auch das nötige Kapital haben, um hoffentlich schnell die entscheidenden Schritte weiterzukommen.
Denn gerade häufig auftretende Erkrankungen wie Krebs eignen sich naturgemäß aufgrund der guten Datenlage besonders gut für personalisierte Medizin. Übrigens ist gerade das daher auch ein Bereich, in den die großen Pharmakonzerne besonders bereitwillig investieren. Klar ist nämlich zum einen, dass die hohe Fallzahl das Geschäft auch langfristig attraktiv macht, und zum anderen, dass die gute Datenlage ein Hebel für gute Fortschritte sein kann.
Im Health-Tech-Kontext dürfte sich also auch in den nächsten Jahren noch viel tun – und klar ist bereits heute, dass es sich dabei um mehr dreht als um die Fitness-App und die Lösung zum Vereinbaren von Arztterminen. Gerade der demografische Wandel und die technologischen Fortschritte mit Digitalisierungs- und KI-Tendenzen werden dazu beitragen, dass die Health-Tech-Szene die klassische medizinische Forschung unterstützen kann.
Und ähnlich wie im Fintech-Kontext übernehmen solche Unternehmen oft die Geschäftsfelder, die bislang nicht oder nur unzureichend angegangen wurden. Insbesondere in den entwickelten Gesellschaften mit einer Vielzahl an vorhandenen Instanzen und Institutionen werden allerdings in den kommenden Jahren regulatorische Hindernisse, Datenschutzbedenken und ethische Fragen zu klären sein.